Islam kompakt: Mediale Repräsentation muslimischer Frauen

In Deutschland leben ca. 5 Millionen Muslime. Sie unterscheiden sich in Alter, Nationalität, Generation in der sie hier leben und Geschlecht. Immer häufiger werden stereotypische und islamophobe Aussagen von Politik und Medien zitiert. Gerade Muslime mit offensichtlichen Erkennungsmerkmalen, insbesondere muslimische Frauen, erfahren Vorurteile und Diskriminierung im Alltag und im Berufsleben. Wie werden muslimische Frauen medial repräsentiert? Darüber spricht Hilal Akdeniz (Journalistin, Soziologin).

Anmeldungen unter info@ruhrdialog.org oder 0157 / 72608425

Die Veranstaltung ist kostenfrei.

Datum: Freitag, 07. September 2018
Zeit: 18:00 – 20:00 Uhr
Ort: Katholisches Stadthaus Essen, Bernestraße 5, 45127 Essen, Raum 202

Referentin: Hilal Akdeniz, Journalistin, Soziologin

Veranstalter: Ruhrdialog e.V. und Tulpe e.V.

Videozusammefassung

Den Podcast kann man hier hören:


Zusammenfassung

Problemorientierte Repräsentation von Migration und Muslimen
Die Medien haben einen großen Einfluss in demokratischen Gesellschaften. Sie und die Politik beeinflussen sich gegenseitig. Nicht umsonst werden daher Medien auch als Vierte Gewalt bezeichnet. In Bezug auf unser heutiges Vortragsthema stehen gerade muslimische Frauen in politischen Äußerungen und medialer Darstellung eher problembehaftet bis negativ da. In diesem Vortrag werden Ursachen, Entwicklung und Wandel der medialen, problemorientierten Repräsentation von muslimischen Frauen aufgezeigt.
Erst kürzlich (September 2018) äußerte Innenminister Seehofer, die Migrationsfrage sei die Mutter aller politischen Probleme in Deutschland. [1] Die Migration ist nicht erst seit dieser Aussage, sondern schon viel länger eher negativ konnotiert. Vereinfacht gesagt, ist die Migration und alles damit Zusammenhängende in der öffentlichen Wahrnehmung nicht gut. Zudem erscheint die Migration vielfach in Nachrichten und Internet im Kontext von weiblich und muslimisch. Eine frühere Aussage der AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sorgte im Mai dieses Jahres für Empörung: „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden […] den Sozialstaat nicht sichern.“ [2]

Zahl der Muslime, Überrepräsentation in Medien
Die Zahl der Musliminnen und Muslime ist schwieriger zu erheben als die Zahl der Christen, da keine offiziellen Kirchenzugehörigkeiten bestehen. Sie sind nicht in der Statistik festzuhalten wie z.B. Kirchenmitglieder. Zum Stand 31. Dezember 2015 errechnete das BAMF eine Gesamtzahl von 4,4 bis 4,7 Muslimen in Deutschland. „Berücksichtigt man, dass Deutschland zu diesem Zeitpunkt 82,2 Millionen Einwohner hatte, liegt der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung zwischen 5,4 und 5,7 %“ [3] Hierbei ist anzumerken, dass zu dieser Zahl alle Muslime gezählt werden, sowohl die religiös-praktizierenden, als auch sehr liberale oder nicht praktizierende Gruppen. Nur ein Drittel aller muslimischer Frauen trägt ein äußerliches Erkennungsmerkmal wie zum Beispiel Burka oder Hijab (Kopftuch). Folglich verwundert es zunächst, dass eine Minderheit in der Minderheit einen Problemfokus auf sich sammelt und dass das Kopftuch zum öffentlichen Streitthema in Medien und Debatten wird. Das Kopftuchthema ist im Gegensatz zur Zahl der Trägerinnen in den Medien überrepräsentiert.

Kopftuch als Streitthema, Stereotype
In ihrer Studie Medien und Stereotype schreibt Martina Thiele (2015) als Erläuterung für dieses Phänomen: „Religion gilt seit der Aufklärung in westlichen, säkularisierten Gesellschaften tendenziell als Privatsache. Der Glaube ist nicht äußerlich erkennbar, es sei denn, ihm wird durch Kleidung, Kopfbedeckung, Frisur, Schmuck u.ä., durch Bauten oder öffentlich ausgeführte religiöse Handlungen Ausdruck verliehen. Das erklärt, warum Debatten über Religion sich häufig am ‚Sichtbaren‘ entzünden, an Moscheen- oder Synagogenneubauten, an ‚Äußerlichkeiten‘ wie Kopftuch, Turban, Kippa, etc. Sie werden zum emotional aufgeladenen Symbol für Religionszugehörigkeit.“ [Hervorhebung der Redaktion] Da das Kopftuch der muslimischen Frau besonders ins Auge fällt, werden Streitigkeiten und Differenzen auf dieses Erkennungsmerkmal konzentriert.
Musliminnen werden über die Kopfbedeckung definiert. Ihnen werden Andersartigkeit und Fremde zugeschrieben. Stereotype der fremden, hilflosen, ungebildeten Frau sind weit verbreitet. Muslimische Frauen mit Kopftuch werden eher in einer Opferrolle gesehen. Sie seien der männlichen Unterdrückung und Gewalt ausgeliefert und könnten niemals als positives Beispiel dienen. Eine antiislamische Haltung findet ihren Ausdruck u.a. in solchen Stereotypen. Schon 2010 beschrieb Achim Bühl in seinem Buch Islamfeindlichkeit in Deutschland diese Stereotypen, der Islam gehöre nicht nach Europa, der Islam sei kulturlos, dem Westen unterlegen, gewaltsam, grausam, zerstörerisch; sie sei keine Religion, sondern eine politische Ideologie und propagiere Frauenfeindlichkeit, Judenfeindlichkeit und Homophobie. Diese Stereotype sind (trotz historischer Vorläufer) aber relativ neu und waren vor ca. 15 Jahren in dieser Form noch nicht verbreitet.

White feminism und Intersektionalität
Der sog. white feminism bezeichnet ein exklusivistisches Feminismusverständnis, bei dem privilegierte, überwiegend europäische weiße Frauen Schablonen anlegen und teilweise selbst muslimische Frauen ausgrenzen bzw. ihre feministische Arbeit nicht anerkennen. Die Feministin Chandra Talpade Mohanty kritisiert diesen Umstand. In ihrem Aufsatz Under Western Eyes (1984) argumentiert sie, dass die westliche feministische Wissenschaft alle Frauen der Dritten Welt auf ein einziges, kollektives Anderes reduziert habe. Sie kritisiert die Herangehensweise an Frauen und Feminismus in der Dritten Welt und plädiert für eine differenziertere Betrachtung.
Die Intersektionalität ist nach Kimberlé Crenshaw eine Kreuzung von Diskriminierungsansätzen. Wer mehr von Diskriminierung gefährdete Merkmale aufweist, bei dem treffen intersektionale Diskriminierungen häufiger auf. Die wichtigen Kategorien sind hierbei Herkunft, Klasse und Geschlecht. In unserem Vortragsthema könnte man die Religionszugehörigkeit noch hinzuziehen. Als Beispiel für eine intersektionale Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt kann man sich folgende Person vorstellen: eine Frau mit Einwanderungsgeschichte, mit einem muslimischen Erkennungsmerkmal (Kopftuch) und mit Kindern. Diese Person bietet viel mehr Fläche für Diskriminierung als beispielsweise ein Mann ohne Einwanderungsgeschichte, keine muslimischen Erkennungsmerkmale.

Geringe Frauenquote bei Medienschaffenden
Auch heute arbeiten weniger Frauen in Medienkonzernen als Männer, entsprechend noch weniger die genannten stigmatisierten Gruppen. Aus einer Untersuchung aus dem Jahr 2016 des Deutschen Kulturrats kann man schließen, dass Männer ohne Einwanderungsgeschichte deutlich besser aufgestellt sind als andere Gruppen. Frauen sind in leitenden Positionen sehr wenig vertreten, aber erst recht keine Frauen mit Migrationshintergrund. [4] Durch diese unterdurchschnittliche Quote im Vergleich zur Bevölkerung ergeben sich teilweise verzerrte Bilder in den Medien. Muslimische Frauen werden in Medien problembehaftet repräsentiert und es fehlen in den Redaktionen und inhaltlich verantwortlichen Stellen Mitarbeiter, die aus eigener Erfahrung gegen diese Fokussierungen Einspruch erheben oder andere Perspektiven bieten könnten.

Wandel und Fazit
Es sieht nicht nur schlecht aus für (muslimische) Frauen. Sie sind heute zu einem beachtlichen Teil Bildungsaufsteigerinnen. Frauen insgesamt haben bessere Leistungen in der Schule als Männer, es gibt mehr Hochschulabsolventinnen als Absolventen. Die Werbung und der Kapitalismus entdecken muslimische Zielgruppen für sich. Der Lebensmittelhersteller Katjes, Modeketten wie H&M und Damenhygiene-Produkte zielen offensichtlich mit Kopftuchträgerinnen in ihren Werbekampagnen auf diese Gruppen ab. Junge Wissenschaftlerinnen und Sportlerinnen mit muslimischen Erkennungsmerkmalen treten zunehmend in den medialen Fokus (nicht problembehaftete Berichterstattung). Es ist ein Wandel im Gange und der Grund für eine heutige Debatte könnte eben eine Emanzipation dieser Frauen sein. Laut Aladin El-Mafaalani führen Emanzipation und Integration nicht zu weniger, sondern zu mehr Konflikten, da sich die Emanzipierten nun auf Augenhöhe mit der Mehrheitsgesellschaft auseinandersetzen können.

Fußnoten

  1. //bildblog.de/101718/migration-oder-migrationsfrage-was-ist-fuer-horst-seehofer-die-mutter-aller-probleme/
  2. //www.youtube.com/watch?v=ZEGj1T0pnR0
  3. //www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/WorkingPapers/wp71-zahl-muslime-deutschland.pdf?__blob=publicationFile&v=12
  4. //www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2016/12/Frauen-in-Kultur-und-Medien.pdf

Literaturhinweise

  • Blume, Michael (2017): Islam in der Krise. Eine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug
  • Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2016): Wie viele Muslime leben in Deutschland? Eine Hochrechnung über die Anzahl der Muslime in Deutschland zum Stand 31. Dezember 2015
  • Deutscher Kulturrat (2016): Frauen in Kultur und Medien. Ein Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwicklungen und Lösungsvorschläge
  • El-Mafaalani, Aladin (2019): Das Integrationsparadox. Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt.
  • Göle, Nilüfer (2016): Europäischer Islam: Muslime im Alltag
  • Mohanty, Chandra Talpade (1984): Under Western Eyes: Feminist Scholarship and Colonial Discourses
  • Thiele, Martina (2015): Medien und Stereotype: Konturen eines Forschungsfeldes.