Die muslimische Frau: Noch nie wurde über eine spezifische Gruppe derart viel diskutiert. Für manche verkörpern sie Unmündigkeit, für andere wiederum sind sie das Beispiel für Emanzipation schlechthin. Die Frauen selbst erheben immer häufiger und lauter die Forderung, nicht über sie, sondern mit ihnen zu reden.
Die Soziologin und Journalistin Hilal Akdeniz gibt in ihrem Vortrag „Lebenswelten muslimischer Frauen – Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis“ Einblicke in die Lebenswelten muslimischer Frauen und spricht über ihre Rolle in unserer Gesellschaft. Bei anschließender Diskussion haben Interessenten die Möglichkeit des Austausches.
Für manche verkörpert die muslimische Frau Unmündigkeit und Unterdrückung, für andere wiederum ist sie das beste Beispiel für Emanzipation. Über die Lebenswelten muslimischer Frauen wurde schon vielfach in öffentlichen Debatten diskutiert. Dabei stellen sich Außenstehenden oft viele Fragen: Wodurch kennzeichnen sich die Lebenswelten dieser Frauen? Mit welchen Erfahrungen und Problemen sehen sie sich im Alltag konfrontiert? …
Das anhaltende Interesse in der Öffentlichkeit gab dem Ruhrdialog e.V. Anlass zu einer Veranstaltung mit der Journalistin und Soziologin Hilal Akdeniz von der Zeitschrift Die Fontäne. Der Vortrag im Bibliothekssaal der Universität Duisburg-Essen stieß auf großes Interesse; es nahmen über 80 Gäste teil. Nach dem Vortrag fand eine angeregte Diskussion mit dem Publikum statt.
Stellung der Frau im Islam und Doppelbelastung
“Es gibt nicht die muslimische Frau. […] Statt über muss man mit diesen Frauen reden und nach ihrer Meinung fragen”, so Akdeniz zu Beginn ihres Vortrags. Sich selbst möchte die gebürtige Augsburgerin und bekennende Muslimin nicht in Schubladen stecken lassen und betont immer wieder, dass es einer differenzierten Sichtweise bedarf, wenn man über Erfahrungen und Probleme von muslimischen Frauen spricht.
In den anerkannten islamischen Auslegungen steht die Frau dem Mann vor Gott gleich; das bedeutet, dass alle Frauen das Recht auf Leben, Freiheit, Bildung, Vermögen, Ehe und Scheidung besitzen. Der Koran untersagt nicht, dass sich die Frau aktiv im gesellschaftlichen Leben entfaltet und in unterschiedlichen Funktionen aktiv wird. Zu Lebzeiten des Propheten Muhammed gab es eine Reihe von einflussreichen Musliminnen, so z.B. weibliche Gelehrte oder Staatsdiener. Diskriminierende und unterdrückende Systeme von heute haben ihre Wurzeln nicht im Islam, sondern eher in kulturspezifischen, nicht-islamischen Traditionen. Hierzu zählen der Verbot von Bildung, Fahr- und Reiseverbote, Genitalverstümmelungen oder „Ehrenmorde“. Auch in westlichen Ländern sind muslimische Frauen mit Benachteiligungen konfrontiert, da sie meist über offensichtliche Bekennungsmerkmale (z.B. Kopftuch) verfügen. Hier spricht Akdeniz von intersektionalen Diskriminierungsansätzen: Frau, mit Migrationshintergrund, mit Kopftuch, mit Kindern. Eine weitere Belastung entsteht für Frauen dann, wenn ihnen die Mündigkeit durch Feministinnen abgesprochen wird, so z.B. bei Under Western Eyes oder der Zeitschrift EMMA.
Neue Phänomene und Trends
Akdeniz richtet jedoch nicht selbstgefällig den Zeigefinger auf eine vermeintlich unterdrückende Mehrheitsgesellschaft, sondern wirft auch einen kritischen Blick auf muslimische Frauen in Europa. Dabei nennt sie zwei gefährliche und problematische Trends: Hijab Tutorials (“Hijab” arab. Kopftuch) und Gotteskriegerinnen. Beim ersten Trend neigen junge Damen mit Kopftuch dazu, auf Youtube und den sozialen Medien, gezielt Werbung für die Modeindustrie zu betreiben. Hier spielen Product Placements in Tutorials eine wichtige Rolle. Dabei dient der Hijab, also das Kopftuch, höchstens noch zu modischen Zwecken und wird zweckentfremdet. Die zweite, gefährliche Thematik betrifft die Radikalisierung von immer mehr jungen Frauen, teilweise auch mit dem Resultat der Ausreise nach Syrien. Hier lassen sich viele jugendliche Musliminnen von der Propaganda der Terrororganisation IS verführen und erleben das “last adventure”. (Vgl. Die Rolle von Frauen im IS)
Emanzipationsprobleme nicht ausschließlich islamisches Problem
Den Bogen schließt die Referentin letztlich mit dem Blick auf alle Frauen in unserer Gesellschaft. Es bleibt festzustellen, dass die Benachteiligung von Frauen kein islamisches Problem ist, sondern ein eher kulturell bedingtes. In Deutschland gibt es beispielsweise ungleiche Löhne für dieselbe Arbeit oder die Gesetze schützen die Frauen nicht hinreichend vor sexuellen Übergriffen. Ein Drittel aller Frauen haben schon einmal Erfahrungen mit sexuellen Belästigungen machen müssen. Akdeniz geht davon aus, dass sowohl in Deutschland, als auch in muslimisch dominierten Ländern die Frauenrechte gestärkt werden müssen. Malala Yousafzai sieht sie als positives Beispiel für eine starke muslimische Frau, die sich eigenaktiv im gesellschaftlichen Leben einbringt und andere (auch nicht-muslimische) Frauen und Männer inspiriert.